Er strahlt und strahlt und strahlt, der weiße Marmor von Carrara. Ganz besonders weiß erscheint der Schiefe Turm von Pisa, wenn der Himmel so azurblau wie Liguriens Küsten ist. Dazu ist er mit sage und schreibe 180 graziösen Säulen geschmückt und passt sich bestens ins bauliche Ensemble auf der Piazza des Duomo ein. Seit 1987 steht die gesamte Anlage auf der Welterbeliste der UNESCO.
Anleitung: Achtsamtkeitstraining
Info: 5-min.-Entspannung Mo. + Mi.
Therapeutischer Nutzen: Achtsamkeit
Piazza dei Miracoli
Im 11. Jahrhundert war Pisa die mächtigste Stadt der Toskana. Der Seesieg über die Sarazenen hatte reiche Beute eingebracht, sodass man 1063 mit dem Bau des glanzvollen Ensembles aus Carrara-Marmor auf der heutigen Piazza des Duomo begann. Der Dichter D’Annunzio nannte es „Platz der Wunder“ (Piazza dei Miracoli). Der eigentliche Mittelpunkt des Platzes ist der Dom mit seiner sowohl elliptischen als auch oktonalen Kuppel. Über 200 Jahre hat man ihn durchgehend aus Carrara-Marmor erbaut.
Seine im himmlischen Blau so weiß strahlende Fassade ist etwa 35 m breit und 34 m hoch. Dazu lächelt von oben die Skulptur der Madonna mit dem Kind herab. Als Pisaner Romanik wurde die Domfassade in der gesamten Toskana zum Vorbild. Über den Blendarkaden im Erdgeschoss mit seinen drei ehrwürdigen Toren erheben sich vier Loggien mit 54 Säulen, von denen jede für sich genommen schon allein ein Schmuckstück ist.
Dem ersten Baumeister Buscheto sagt man nach, er sei griechischer Herkunft gewesen. Das war die Zeit als man auch in Venedig mit dem Bau des Markusdoms begann und gleichermaßen Handelsbeziehungen ins östliche Mittelmeer pflegte. Buscheto kannte den byzantinischen Kulturraum, nahm Anleihen bei Moscheen in Persien, armenischen Kirchen und der Stadtmauer von Kairouan.
Jene künstlerischen Inspirationen spiegeln sich in der Fassade des Domes wieder, die in der romanischen und abendländischen Kulturgeschichte einzigartig war. Die glatte Wand wurde durchbrochen und zu einer plastisch, ja geradezu theatralisch gestalteten Schaufläche inszeniert.
Beim achtsamen Betrachten entdeckt man dort Blendbögen und Arkaden, die durch waagerechte Streifen farbigen Marmors unterbrochen sind – sowie Ornamente und Medaillons aus der ersten Phase der Pisaner Baukunst. Der Formenreichtum im unteren Teil wurde später in den darüber liegenden Etagen durch die säulengeschmückten Galerien übertroffen. Teilweise entwand man die Säulen aus antiken Bauten und brachte sie auf dem Seeweg nach Pisa.
Im Campanile, d.h. im weltberühmten Schiefen Turm von Pisa findet das Prinzip des vor die Wand gesetzten Säulenschmucks dann seine sinnenfreudigste Ausprägung. 180 Säulen stehen in sechs Etagen übereinander. Jedenfalls betonte man in Italien damals – im Gegensatz zum hohen Norden – nicht die Vertikale, sondern rhythmisierte die Bauteile in der Horizontalen.
Und ach, wenn man ins Innere des Domes eintritt!
Die enzianblaue, vergoldete Kassettendecke im Kirchenschiff stammt aus dem 17. Jahrhundert, nachdem der Dom 1595 einen großen Brand erlitten hatte. Unweigerlich erinnern die schwarz-weißen Arkaden an Byzanz und an eine Moschee aus 1001 Nacht. Auch die Emporen über den Seitenschiffen sind byzantinisch geformt. Golden glitzert dazu das Mosaik des Christus Pantokrator in der Apsis. Laut einer Legende soll Galileo Galilei an dem Leuchter die Gesetze der Pendelschwingung ausgetüftelt haben.
Auch die bronzenen Kunstobjekte im Dom-Museum können ihren orientalischen Ursprung nicht leugnen. Oh, welch ein sonnentrunkener Taumel: Dreht man sich um, steht an der Westseite des Domes das Baptisterium, die marmorweiße filigrane Taufkirche mit Giovanni Pisanos Propheten- und Apostelfiguren über dem Portal. Und auch das Heilige Feld (Composanto monumentale) wartet auf mit einem filigranen Wandelgang im strahlenden Weiß. Die Erde im Innenhof soll aus dem heiligen Land stammen und auf Schiffen herbeigebracht worden sein.
Torre pendente di Pisa
Im heiteren Gemurmel aller Sprachen der Welt steigt man schließlich die 300 Stufen hinauf – auf den weißen Campanile, der jeden Moment umkippen will und in seiner Kuriosität eines der schönsten Bauwerke der Welt ist. Und wieder schwingen Legenden mit: Galilei soll bei Versuchen auf dem Turm die Fallgesetze entdeckt haben. So blickt man hinab – in den knallockeren Farbkontrast der alten Gassen und Straßen von Pisa hinein, welche geradezu nymphomanisch zu einem romantischen Spaziergang einladen.
Ursprünglich sollte der Campanile 100 m hoch sein, aber dann begann sich der „Torre“ wegen des lehmigen und sandigen Bodens zu neigen, so dass es bei 54 m blieb. Beinahe berührt das Pendel im Turm die untere Seitenwand, weshalb die bestens gelaunten Touristen aus aller Herren Länder Fotos machen, auf denen sie so tun, als würden sie ihn abstützen. Jüngst wurde er 13 Jahre lang saniert und 2001 wieder für sie geöffnet. Nach einer pisanischen Volksweise soll er sich neigen und neigen, jedoch niemals einstürzen.
Achtsamkeits- und Genussmeditation am Schiefen Turm von Pisa:
Betrachte nun die Details des baulichen Ensembles am „Platz der Wunder“ und genieße ihre kunstfertigen Formen. Dazu kannst du auf die Bilder klicken und sie vergrößern!
- Lies dir die kunsthistorische Einführung aufmerksam durch und widme deine Aufmerksamkeit zunächst der Westfassade des Doms.
- Stell dir die Kuppel mit dem Innenraum des Doms vor!
- Wende dich dann dem Schiefen Turm von Pisa zu und zähle seine Geschosse. Vollziehe die Anzahl der Säulen nach!
- Analysiere den Formenreichtum am Baptisterium und tauche in dessen Vielfalt ein!
- Wie fühlst du dich jetzt? Haben dir das sonnengetränkte Weiß des Carrara-Marmors und die Schönheit der Pisaner Baukunst gut getan?
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