Im Dionysostheater zu Füßen der Akropolis nahmen die Gottheiten der alten Griechen sinnbildlich Gestalt an, indem die Priesterschaft ihre Plätze auf den prachtvollen Marmorsesseln der ersten Parkettreihe einnahm. In Anbetracht dessen möchten wir den Versuch wagen, den Genuss des Weintrinkens mit den Künsten zu vergleichen.
Beitragsfolge:
Treffend mit Worten ausdrücken
Wein kann uns ebenso wie die Kunst auf einer emotionalen Ebene ansprechen, Erinnerungen in uns wachrufen. Dies treffend mit Worten auszudrücken, fällt oft schwer, lohnt sich aber, um Gefühlen ein sprachliches Bild zu geben. Ebenso wie die Darstellung eines Weines neigt auch die Sprache der Poesie zu Vergleichen, Übertreibungen, Ansprachen und Allwissenheit.
Speziell das Haiku-Gedicht ist – gleichermaßen wie der Wein – eine Miniatur, einfach nur das Miteinander der Dinge, die zwanglos und gelassen miteinander kommunizieren. Wie das Haiku kommt auch der Wein aus der Natur, sein Dichter ist quasi der Winzer, denn auch der Wein enthält einen Extrakt der höchsten schöpferischen Spiritualität, er ist voller Schöpfungsrausch wie ein Kunstwerk.
Sogar die qualitativen Ebenen von Kunst und Wein lassen sich miteinander vergleichen. Auf den ersten Blick scheinen Trauben nichtssagend zu sein – und doch werden aus ihnen die besten Weine hergestellt. Ähnlich einem Kunstwerk oder einem dreizeiligen Haiku verwandelt sich der Wein beim achtsamen Genuss zu strahlendem Zauber und natürlicher Magie. Und wie die bildende Kunst mag er keine geraden Linien, eher schwingende Harmonien und den Tanz. Die leidenschaftliche Begeisterung, aus der die Kunst entspringt, kann nur Ehrfurcht hervorrufen.
Sich würdig erweisen
Und während man ein Kunstwerk im Kontext seiner Historie betrachtet, verkostet man auch den Wein unter gleichen Gesichtspunkten. Solche Andachten erklären Weine aus ihrem Hintergrund heraus. Elfenhaft, von seidener Finesse, kampfbereit oder schwelgerisch, ist den Weinen auch noch eines mit der Kunst gemeinsam: Sie brauchen Zeit und Geduld, um sich zu entfalten.
So wenig wie sich die Kunst mit Pedanterie, Zeitdruck und Zeitungslesen verträgt, wird auch die Sinnlichkeit im Wein erst schmeckbar, wenn sich das Nichtgreifbare und Zauberhafte in aller Ruhe auf jenen übertragen kann, der sich ihm hingibt. Man erweist sich ihm würdig, indem man sich keinem Diktat unterwirft und sich Zeit für Widerspenstigkeit lässt.
Wein duftet sich ebenso langsam im Glase aus wie das warme Abendrot oder das tiefe Granatrot mit Rubinkern in einem Gemälde oder im lyrischen Gedicht. Denn laut Marcel Duchamp ist es letztendlich der Betrachter, der das Bild macht. Und bevor ein Gedicht oder ein Kunstbild verstanden werden kann, erzieht es seinen Betrachter – ebenso wie der Wein, den man trinkt.
In Ruhe wahrnehmen und erfassen
Die literarische Gattung der Weinbeschreibung lässt sich durchaus mit der Bildbetrachtung oder Gedichtinterpretation vergleichen. Auch auf den Wein muss man sich erst einmal einlassen, ihn in Ruhe wahrnehmen und erfassen. Dabei übersteigt die Erfahrung die Worte und versetzt uns – ebenso wie die Kunst – ins Jenseits der Wörter.
Die dem Wein innewohnende Speicherung von Natur und Schöpfer (wobei der Schöpfer nur eine hintergründige Rolle spielt) ist auch dem Haiku zu eigen. Der Mensch in der Person des Winzers oder des Haiku-Dichters, hat die Natur gebündelt und als Geist in die Flasche bzw. in einem Dreizeiler auf das Papier gebannt.
Mit höchstem Respekt vor der Natur, dem Lauf der Jahreszeiten und der Gestirne folgend, dem Wind und dem Regen lauschend, verschmilzt er mit der Natur und wird kulturhistorischer Teil des Terroirs.
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