Verweilen wir noch bei Hermann Hesse und genießen mit seiner Erzählung „Zinnien“ die Farben des schönen „Altweibersommers“. Achtsamkeit zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk des berühmten „Siddhartha“-Autors. Lassen Sie sich von Hesses genialer Poesie und seiner Verliebtheit in die Blumen verzaubern. Die Zinnien-Erzählung schrieb er im Jahre 1928, im selben Jahr schuf er auch die aquarellierte Federzeichnung „Zinnienstrauß“.
Die Natur mit Andacht genießen
Immer wieder weist Hermann Hesse in seinen Erzählungen darauf hin, dass der Genuss des Augenblicks auch deshalb so dringlich ist, weil unsere Lebenszeit nun mal begrenzt ist. So auch in den Zinnien: Wer würde sich nicht gerne dem botanischen Studium der Natur hingeben und vielleicht einmal Stifters „Feldblumen“ in aller Ruhe lesen. Jedoch fehlt den meisten Menschen leider die Muße dazu! Als Alternative empfiehlt Hesse, das „Langsamerleben“ zuzulassen und den Jahreszeiten mit einer „gewissen Andacht“ beizuwohnen.
Die Zinnien sind für ihn die „leuchtendsten Blumen des Jahres“. Achtsam verfolgt er die Verwandlung eines Zinnienstraußes beim Dahinwelken und vergleicht diesen Vorgang mit einem „Totentanz“, ja von einer Himmelfahrt, einem Übersetzen ins Geistige und Duftige ist die Rede – ebenso wie man die besondere Duftnote eines edlen Weines genießt.
Da verwandelt sich ein frisches Orange innerhalb von zwei Tagen in Neapelgelb, welches übermorgen von einem „mit dünner Bronze überhauchten Grau“ überzogen wird. Hesse spricht von einem „Graurosa, wie man es an ganz verbleichten Seidensachen der Urgroßmutter findet“. Schließlich fordert er dazu auf, auch die untere Seite der Blütenblätter achtsam zu betrachten.
Zinnien-Fotogalerie
Versuche den Gedanken von Hermann Hesse nachzuspüren, indem du dich in die Farben der Zinnien vertiefst!
Die Zinnie gehört zur Familie der Astern und tritt in vielfältigsten Farben und Formen auf. Zinnien blühen von September bis in den Oktober hinein.
Das Geheimnis des Schönen
Die Lebenskunst im Genießen des Augenblicks zu suchen und sich auf diese Weise von belastenden Gedanken zu befreien, hat aber nichts mit rücksichtslosem Zufriedensein und unersättlicher Freude zu tun. Alles herrlich und entzückend zu finden und jede Kritik in überheblicher Weise auszublenden, kann laut Hermann Hesse zum „gründlich müde Jubeln“ bzw. zum Disaster führen.
In Anbetracht der auf totalitären Philosophien fußenden Widerspiegelungen dieser Tatsache in der deutschen Geschichte, hat Hesse mit seinem feinen geistigen Gespür mehr als nur Recht behalten.
Nicht selten als „sentimentaler Romantiker“ belächelt, belächelt Hesse in seiner Zinnien-Erzählung die Gegenseite, indem er prophezeit, dass man später vielleicht einmal Ärzte, Lehrer oder Künstler und Magier dafür bezahlen wird, die Menschheit wieder in die Geheimnisse des Schönen und der Seele einzuführen.
Angesichts des heutzutage vorherrschenden zügellosen Arbeitsdrucks, der sich zumeist unbegründet und nicht selten mit selbstgefälliger Missgunst und Raffsucht verbindet, erscheinen Hesses Gedanken völlig gegenwärtig. Dabei fällt es den Menschen leider oft schwer, den Nutzen kreativen Denkens zu erkennen.
Infos und Tipps: Hin und wieder findet man in Hesses Erzählungen wertvolle Buchtipps
Auch Adalbert Stifters Tagebuch „Feldblumen“ mit Naturschilderungen in epischer Breite wurde auf den Grundlagen der Achtsamkeit verfasst. Ähnlich wie Hesse fand Stifter seine Seelenlandschaft in der Natur. Sein Werk aus der Biedermeierzeit fordert dazu auf, darüber nachzudenken, dass es nicht die Entschleunigung der Handlung ist, die zum Disaster führt. In den „Feldblumen“ wird spürbar, dass eigentlich nichts – und dennoch ungeheuer viel passiert.
- Die Zinnien-Erzählung ist in dem Buch „Hermann Hesse: Tessin“ des Insel-Verlags in Frankfurt am Main und Leipzig erschienen (insel taschenbuch 1494). Absolut empfehlenswert!
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