Man sagt ihm nach, er sei launisch. Insbesondere scheint er weder eisige Kälte noch Hitze zu vertragen. Nicht nur, dass er auch mal unpünktlich sein kann, sein Geläut platzte sogar schon mitten in die Sendung der BBC hinein. Und wen wundert es, dass man sich gestört fühlt, wenn man von einem ganzen Starenschwarm überfallen wird. Auf jeden Fall verlangt er ungeheuer viel Fingerspitzengefühl.
Einmal konnte er dass Neujahr wegen klirrender Kälte erst 10 min später einläuten, weswegen die Welt aber nicht unterging. Traditionsgemäß beginnt die BBC ihre 18 Uhr Nachrichten mit seinem Liveton, der nicht nur weltweit, sondern auch vor Ort meilenweit (14 km) zu hören ist. Stündlich erklingt er mit einer schönen Arienmelodie, die anderen vier Glocken schlagen alle Viertelstunde.
Big Ben – der Turm oder die Glocke?
Aber was heißt eigentlich „er“? Handelt es sich doch um eine Uhr, nein das Uhrwerk, noch besser das Geläut! Genau genommen ist mit „Big Ben“ die schwerste Turmglocke im neogotischen Westminsterpalace an der Themse gemeint, der man einst den schlagkräftigen Spitznamen verpasste.
Ebenso ist sicher verständlich, dass sie es nicht mag, wenn der Schlaghammer genau auf ihren Riss von 1859 haut, weshalb man sie dann einfach drehte. Seither funktioniert im 96 m hohen Elisabeth-Tower (bis auf wenige „Launen“…) alles bestens.
Was den Turm betrifft, hängen die Launen vielleicht auch mit seinem leichten Schiefstand von 0,26° zusammen? Beim achtsamen Betrachten vom anderen Themse-Ufer sieht man, dass er fast einen halben Meter überhängt. Schauen Sie – am besten mit dem Zoom – ganz genau hin: Im Ziffernblatt steht statt der IIII eine römische IV!
Ben kommt von Benjamin und Big bezieht sich vielleicht auch auf die Glocke. Jedenfalls wurde der Spitzname entweder von einem Schwergewichtsboxer oder von Sir Benjamin Hall hergeleitet, der um 1850 den Bau des Turmes beaufsichtigte und ziemlich hoch gewachsen war. Als die Uhr eingebaut wurde, war sie weltweit die größte. Allen Launen zum Trotz weisen Uhrwerk und Geläut bis heute eine bemerkenswerte Genauigkeit auf.
Leider nicht nur Starenschwärme
Sogar nach den deutschen Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg läuteten die Glocken weiter… Hitler verkündete 1940 in seiner Sportpalastrede, dass er die britischen Städte ausradieren will, Goebbels sprach vom „Coventrisieren“, schließlich erfand man damals in Deutschland die V1 und V2 Raketen.
In der Tat hatten die Einwohner von London die deutschen Luftangriffe als Terror wahrgenommen, die unterschiedslos auch die Zivilbevölkerung trafen. In London wurde vor allem auch das Regierungsviertel bombardiert.
Dabei wäre es doch viel sinnvoller gewesen, sich der gemeinsamen kulturellen Errungenschaften zu erfreuen. Statt sich für Meisterstücke der Kunst zu begeistern, sprachen die faschistischen Kulturbanausen lieber über „Meisterstücke“ eines Terrorangriffs und von Zivilistenopfern (in London waren es im 2. Weltkrieg 42.000). Kein Wunder, dass das zugefügte Leid wie ein Bumerang zurückkam.
Georg Friedrich Händel wurde in Halle an der Saale geboren
Bildungsfern und grobschlächtig bezeichneten die Nationalsozialisten ja das Feingefühl von Kunst als „entartet“. Die ikonische Klangfolge des Big Ben wurde einer von Georg Friedrich Händel komponierten Arie seines „Messias“ entnommen. Zumindest soll sie in Form einer Variation davon inspiriert worden sein.
Um so peinlicher und aberwitzig ist es vielleicht, wenn Händel im deutschen „Stammtischinternet“ im Zusammenhang mit dem Big Ben als „Verräter“ bezeichnet wird. Nur weil er Deutschland im Jahre 1712 verließ, um in London eine Stelle als Hofkomponist anzunehmen!
Dass zahlreiche Menschen in Deutschland sowohl auf Ab- als auch auf Zuwanderung hysterisch und ewig gestrig reagieren, ist ja hinlänglich bekannt. Vielleicht hatte Georg Friedrich Händel als Künstler neben der Arbeitssuche auch noch andere Beweggründe, die ihn nach London trugen?
Er ist der einzige Deutsche, der in Westminster Abey beigelegt ist. Das war 1759. 1742 schrieb er die Arie…. Noch heute trägt eine Straße in London seinen Namen. Und übrigens schlägt die BBC-Melodie auch am Roten Turm in seiner Geburtsstadt Halle, ebenso erklingt dort beim Besuch des Händelhauses sein Werk. Sucht man im Internet nach dem englischen Satz „That My Redeemer Liveth“, wird man sicher ein schönes Video mit einer Darbietung von Händels Arie finden.
Vom freien Wort
Bei soviel Angriffslust ersetzte die BBC im zweiten Weltkrieg den Liveton durch eine Aufzeichnung, damit der Kriegsgegner keine meteorologischen Informationen aus dem Ton und Echo vom Big Ben ableiten konnte. Aber es gab auch viele Deutsche, die sich nicht von der damals so unschönen Politik einschüchtern ließen.
Nicht wenige Enkel erinnern sich an tapfere Großväter und deren Erzählungen, wonach u.a. heimlich die Radiosender des Auslands abgehört wurden. Vor allem wollte man wissen, wann der törichte Spuk denn endlich vorbei sein wird. Obwohl die sog. „Rundfunkverbrechen“ ebenso grobschlächtigst bestraft wurden. Die deutschsprachigen BBC-Nachrichten wurden damals mit „Hier spricht London“ und den ersten Takten von Beethovens 5. Sinfonie eingeleitet.
Wie dem auch sei, im Bernsteinrose-Blog möchten wir nicht wiederholen, was schon tausendfach im Internet nachzulesen ist. Glücklicherweise gehört Deutschland längst nicht mehr zu jenen Ländern, in denen selbstherrlich das freie Wort gesperrt wird. Für weitere Infos geben Sie bitte ganz einfach „Big Ben“ in den Suchschlitz ein!
U.a. erfahren Sie dann wie lang Big Bens Uhrzeiger sind und in welchem Jahr seine Launen genau auftraten. Und auf www. parliament.uk können Sie sich über die „Ways to visit“ informieren und die 334 Stufen auf den Elisabeth-Tower sogar virtuell hinauf steigen.
Eintritt frei für Kunst!
Aber viel schöner ist doch das freie Reisen! Sicher kann man sich auch ohne englische Staatsbürgerschaft in London wohlfühlen, welche nach den Terroranschlägen auf New York zur Besteigung des Big Bens unabdingbar ist.
Wie wärs zum Beispiel mit einer „Tour plus afternoon tea“ oder einem Londonbesuch auf den Spuren der Kunst? Auch die knallroten Busse und die noblen schwarzen Taxis tragen zu dem angenehmen Flair der Themse-Metropole bei. Mit Ihnen gelangt man schnell zu den zahlreichen und zum großen Teil eintrittsfreien Kunstgalerien in London. Mehr darüber erfahren Sie im nächsten Blog-Beitrag!
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