Der sagenumwobene Gondoliere verkörpert mit seiner Gondel das Sinnbild Venedigs. Mit unserer ersten Venedig-Meditation möchten wir unsere Leser zu mindestens zehn romantischen Genussspaziergängen durch die versinkende, alte ewige Serenissima einladen. In den Venedig-Beiträgen der Reihe „Reisemomente“ besuchen wir die melancholisch-verwinkelte Stadt und lassen sowohl die Dichtkunst als auch die Gefühle der Leser für sie sprechen. Denn Venedig ist so schön, dass einem zuweilen die Worte fehlen. So geheimnisvoll wie ihre Schönheit, ist auch die Kunst des Gondelfahrens.
Anleitung: Achtsamtkeitstraining
Info: 5-min.-Entspannung Mo. + Mi.
Therapeutischer Nutzen: Achtsamkeit
Der Gondoliere und die venezianische Gondel
Ein erster Blick auf das Foto mit dem rudernden Gondoliere (siehe weiter unten) lädt dich zum musenvollen Entspannen ein. Lies dir zunächst in aller Ruhe die kulturhistorische Einführung durch:
Der Zunft der Gondolieri Venedigs sagt man nach, dass sie nicht nur die Bauweise ihrer Gondeln, sondern auch die Technik des Gondelfahrens wie ein strenges Geheimnis hütet. Abgesehen von dem konstruktiven Mysterium der ergonomischen Harmonie zwischen Gondel und Gondoliere, lässt sich in der Literatur nachlesen, dass eine venezianische Gondel 10,85 m lang und 1,42 m breit ist und ihr einst – ebenso wie ihre Ausmaße – die schwarze Farbe einheitlich verordnet wurde.
Nur bei den Rudergabeln handelt es sich noch um individuelle Kunstwerke. Die eisernen Fähnchen am Bug weisen mit sechs Zacken nach vorne und einer Zacke nach hinten, was wohl die sechs Stadtteile Venedigs und die Giudecca-Inseln symbolisieren soll.
Für den Gondoliere gibt es eine Kleiderordnung, die während der Sommersaison lange Hosen in dunkelblauer oder schwarzer Farbe, ein weißes Leinenhemd nach Seemannsart oder die „maglietta“, ein gestreiftes T-Shirt mit roten oder blauen Streifen von 2 – 2,5 cm Breite, und einen Strohhut mit Band und Einfassung in der gleichen Farbe wie das Shirt vorschreibt. Etwas ratlos war man allerdings, als auf dem Canal Grande erstmals eine Frau das Ruder in die Hand nahm. Seit 2006 beherrscht nun auch eine – noch dazu blonde – Gondoliera die Schwimmlage ihres gebogenen Gefährts – virtuos lächelnd im Minirock.
Die venezianische Gondel ähnelt einer Waage: Die Asymmetrie und das größere Volumen auf der linken Bootsseite gleichen das Gewicht des dort – auf dem leicht abschüssigen Deck – stehenden Gondoliere aus, der das Schiff mit seinem Ruder fortbewegt. Mit einem Fuß stößt er sich dabei auch an den bröckelnden Hauswänden ab, duckt sich und gleitet sanft unter dem schillernden Brückenrund Venedigs hindurch. Die Stadt hat noch etwa so viele Gondeln wie Brücken – annähernd 400.
Während in anderen Städten der Straßenverkehr dominiert, ist in Venedig das Wasser das alles Beherrschende. Durch die Kanäle und schmalen Rios tuckern auch Vaporettos und private Motorboote. Einen phänomenalen Anblick bietet der Markusplatz zu Zeiten der Flut. Dann wird der gesamte Platz samt der byzantinisch-märchenhaften Markuskirche von dem türkisgrünen Wasser der Adria überschwemmt und kann von den Gondeln befahren werden.
Erneute Betrachtung der venezianischen Gondel:
Schau dir das Foto an und lass es vollkommen frei und unbefangen auf dich einwirken!
Achtsam und genussvoll eine Gondel in Venedig betrachten:
- Betrachte das Foto in aller Ruhe und analysiere zunächst die Form der Gondel!
Beim genauen Hinschauen fällt dir gewiss die Asymmetrie zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil der Gondel auf. - Wie viele Menschen sitzen in der Gondel?
- Versuche, deine Gefühle beim Anblick des Fotos wahrzunehmen. Spüre in dich selbst hinein!
- Stell dir vor, du würdest in der Gondel sitzen und dich von dem Boot wiegen lassen. Lautlos biegt es aus einem breiten, sonnigen Kanal in die schattige Häuserschlucht eines Rios ein. Irgendwo singt ein Gondoliere „Amore mio“…
Mit Rainer Maria Rilke durch Venedig
Das wiegende Gefühl zwischen Glück und Melancholie vermögen vielleicht nur Dichter, wie Rainer Maria Rilke oder August von Platen, in treffende Worte zu fassen. Zwischen 1897 und 1920 besuchte Rilke zehn Mal die Stadt. In einer Gondel soll er einer Venezianerin auf Knien seine Liebe erklärt haben. In poetischen Briefen aus Venedig schreibt er über die Gondeln und die Gondolieri:
„Wie von der innersten Natur Venedigs ist dieses schlanke schwarze Schiff hervorgebracht, ein Geschöpf, ein Wesen – unter den Dingen nur noch mit einem Musikinstrument zu vergleichen, dessen ganzer Körper von Bedingungen gebildet ist, die weit aus dem Unsichtbaren und Unfasslichen herüberreichen.“
- Lies Rilkes Zeilen mehrmals und vergegenwärtige sie dir anhand des Gondel-Fotos!
Die asymmetrische Form der Gondel ermöglicht es, das Fahrzeug trotz des geringen Tiefgangs mühelos mit einem Ruder zu steuern.
- Betrachte die Kleidung des Gondoliere! Inwiefern entspricht sie unserer kulturhistorischen Beschreibung?
- Betrachte die Körperhaltung des Mannes, wie würdest du sie beschreiben?
- Obwohl traditionell gekleidet, befindet sich unser Gondoliere wohl auf dem technisch neuesten Stand. Woran erkennst du das?
- Lies nun auch die folgenden Zeilen von Rainer Maria Rilke mehrmals und betrachte dabei erneut das Bild:
„Die Gondel ist vielleicht das Instrument der Stille, der Gondoliere steht wie ein „Vorzeichen“ da, wie der Violinschlüssel, am Zeilenanfang ihrer Bewegung, die eine Musik der Lautlosigkeit und des Schweigens ist in unendlichen Abwandlungen und Steigerungen.“
- Welche Gefühle vermittelt dir jetzt das Foto? Welche Energie strahlt es aufgrund Rilkes poetischer Beschreibung aus? Zum Beispiel Stille oder Glück.
- Oder besteht das alte Geheimnis der Gondolieri (und Venedigs!) vielleicht in Ausgewogenheit – versinnbildlicht in den sich wiegenden Gondeln?
- Kannst du vielleicht einen Unterschied zu deinen vorherigen Gefühlen wahrnehmen?
- Wenn es sich um eine positive Energie handelt, lass sie durch deinen gesamten Körper strömen! Genieße diese Energie!
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